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The other side

  • carinariedl
  • Feb 29, 2020
  • 3 min read

Updated: Mar 1, 2020




Wir haben inzwischen mehrere Male die slowakisch-ungarische Grenze überquert. Da es zu dieser Jahreszeit in der Gegend kaum Unterkünfte gibt, müssen wir lange Tagesetappen planen. Das geht auch an unsere Grenze.


Auf die gleichförmigen Tage an der Donau folgt eine ereignisreiche Strecke durch die Auwälder. Am Vorabend werden aus einem Missverständnis heraus zwei Palatschinken-Portionen serviert, derer sich Dieter annimmt, am Morgen gefolgt von zwei Portionen Ham and Eggs, die auf die Kappe meines verschwiegenen Vegetarismus gehen und ebenfalls in Dieter ihren Abnehmer finden. Das Ergebnis landet direkt vor der Haustür der Pension, wohin Dieter den überforderten Magen unmittelbar vor dem Weggehen entleert.


Nur unwesentlich geschwächt und trotzdem guter Dinge bahnen wir uns unseren Weg an lauter ebefalls doppelten Hundepaaren vorbei und versuchen, dem trickreichen Flussarm-System eine Abkürzung durchs Dickicht abzuringen. Adventure-Punkte 9, Energiespar-Punkte: 0, Dreck: 8. Außerdem finden wir am Waldboden den ersten Fisch der Reise.


Weiter gehts zur Grenze, die sich am Ende einer riesigen Brücke befindet. Auf der Suche nach Fluchtmöglichkeiten vor dem Schwerverkehr entdecken wir auf ungarischer Seite einen schmalen Pfad unterhalb der Brücke, der sich durch den Auwald schlängelt. Kleiderhaufen, vermischt mit Decken, Schlafsäcken und ein wenig Müll säumen seine Ränder. Es sind wohl Spuren von Grenzgängern, die dort abwarten, bis sie nachts über die Brücke können.

Ähnliche Bilder werden in den nächsten Tagen an etlichen Orten folgen.


Nach kurzer Rast in einem ungarischen Dorf, dessen Bewohner auf ähnlich liebenswerte Weise aus der Zeit gefallen scheinen wie der Ort selbst, plagen Dieter auf halber Strecke starke Schmerzen am Knöchel. Er wird sich durchkämpfen, so wie viele weitere Male in diesen Tagen, aber der Schüttelfrost am Abend zeigt, dass sich der Körper erst gewöhnen muss an die Strapazen.

Seit Dieter mir die Geschichte erzählt hat, dass Edisons Grußformel für die frühen Phonographen auf das ungarische „Hallom“ // „Ich höre Dich“ zurückgeht, heiße ich jeden neuen sich meldenden Körperteil willkommen. Hallom, Fußballen, ich höre Dich, kleiner Zeh...


Neben den äußeren sind also inzwischen mindestens zwei innere Grenzzustände zu verbuchen. Der tranceähnliche der Monotonie und jener am Weg auf die andere Seite des Schmerzes, aller Wille hyperkonzentriert gerichtet aufs Weitergehen. Beides geht mit Ich-Auflösung einher. Und mit absoluter Gegenwart (mehr da als im pochenden Fuß kann man gar nicht sein).


Der Migrationsexperte Gerald Knaus, mit dem ich in der Vorbereitung dieses Projekts gesprochen habe, sagt, das „No boarders“-Konzept habe er noch nie verstanden. Erst die Grenze stelle doch sicher, dass es hinter ihr einen Schutzraum gibt. Der wirklich utopische Entwurf sei für ihn die Idee der unsichtbaren Grenze, so wie sie im Schengener Abkommen formuliert ist. Die Grenze kann dabei beliebig oft und weit überschritten werden - nur im Notfall ist sie da und wird sichtbar.

Dieser Tage frage ich mich, ob der Gedanke außen und innen fruchtbar sein könnte.


In der Zwischenzeit will meine Airbnb-Vermieterin per Mail im Auftrag des Gesundheitsamtes wissen, ob ich gesund bin oder ob sich in meiner Umgebung ein Coronavirus befindet. Meine Antwort mit Selbstdiagnose („Nein, kein Virus.“ - „ in Sicht“ spar ich mir) scheint zu beruhigen, und Herr Kickl fordert indes Quarantäne für Asylwerber.


Mein Gesprächspartner im Dorfpup von Mužla heute nachmittag hat mir angekündigt, in Šturovo, meinem Tagesziel, erwarte mich die Zivilisation. Von dort aus überquere ich die Grenze nach Ungarn zum letzten Mal.

Ich bin gespannt.


Dieter ist nun seit gestern das erste mal auf Heimurlaub bzw. Konzertreise. Den Track zum Tag haben wir noch gemeinsam ausgesucht, er kommt von „The Doors“:






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