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Insights to Urban and Orbán county

  • carinariedl
  • Mar 9, 2020
  • 4 min read

Updated: Mar 21, 2020

Morgen kommt Dieter zurück, und bald schon werden wir Ungarn verlassen. Die Tage vergehengehengehen so schnell. Deshalb will ich mich noch einmal umdrehen und sie dem Vergangen-Sein entreißen


Auf die Strecke in den Hügeln vor Budapest, wo alle Orte Pilisdingsbums, also Pilis (der Name des höchsten Berges dort) und noch was heißen, folgt eine Stippvisite in Budapest, das mir in seinen Vororten schnell mehr ans Herz wächst als je zuvor in seinem überladenen Zentrum. Kurz fühle ich mich sehr daheim, wohl vor allem, weil es Stadt und vielleicht auch, weil es Wien so verwandt ist.


Ich verlasse Budapest durch das traditionelle „Ausgangstor“ im Südwesten, den Memento-Park. Hier muss man her, wenn man an den Balaton will oder auch nach Wien, hier trifft sich Ost und West. Wahrscheinlich war der Ort deshalb in den 70er Jahren der Platz, wo Gastarbeiter ihre Dienste anboten. Das Wort Gastarbeiter scheint aus einer längst untergegangenen Welt zu kommen - die Gastfreundschaft und das antike Gastrecht, die da noch anklingen...

Heute ist hier ein Skulpturenpark eingerichtet, der - schon am Eingang lautstark kommunistisches Liedgut schmetternd - mit einem Hauch Ironie Statuen und Büsten aus der Zeit des Realsozialismus ausstellt.


Es geht weiter ins Innere Ungarns. Ich komme durch Dörfer, wo der Werkzeugmarkt noch auf der Straße stattfindet, gehe über endlose Felder und Ackerflächen. In ein Hinterland, das oft ganz leer ist - ohne Menschen, ohne Behausungen (und wo es Häuser gibt, stehen diese oft leer).

Und natürlich ohne Unterkünfte.

Und so lande ich eines Abends kurz nach Einbruch der Dunkelheit bei einem Einfamilienhaus, dass ich über die gängigen Internetanbieter aufgespürt habe und das mir ein „Apartman“ verspricht. Alle Jalousien sind heruntergelassen, kein Licht ist zu sehen, ein Auto steht immerhin vor der Tür. Ich versuche, die Klingel am Zaun zu betätigen - nichts. Ich betrete den Garten, beginne, an die Fenster zu klopfen. Weiter nichts. Ich umkreise das Haus, rufe Hallo - keinerlei Reaktion. Nach mehreren Runden und dem obligatorischen Scannen aller Hirnwindungen nach Handlungsoptionen, ist mir, als höre ich Stimmen. Und tatsächlich: hinter den Jalousien eines Mini-Fensters oben ist Licht zu sehen. Ich fasse also Mut, rufe lauter, ziehe weiter meine Kreise. Minuten später öffnet sich oben ein Fenster. Eine Frau im Nachthemd äfft noch mein „Hallo, hallo“ nach, dann erscheint sie. Ich (erleichtert und etwas vorwurfsvoll): „I have reservation“. Sie: viel auf ungarisch. Am Ende versteh ich ein Wort: „szoba“ - Zimmer. Okay, wir reden vom selben. Sie wiederholt mehrfach etwas mit „posta“ und fuchtelt, bis ich in der angedeuteten Richtung einen Briefkasten ausnehme. Aber das ist nicht genug Information, um zu decodieren, was sie will. Also reißt ihr die Geduld, und sie schickt einen dicken jungen Mann (Ewiger Sohn? Vorübergehender Liebhaber?) vor, um (- aaah! -) einen Schlüssel aus dem Briefkasten zu holen, mir den Seiteneingang zu weisen (Wie hätte ich den je finden sollen?) und mir eine Art gefliestes Vorzimmer mit Schlafcouch als mein Apartman zu präsentieren. Meiner Bitte um ein Handtuch kommt er noch widerwillig nach (Zwischenkommentare in Richtung Frau scheinen jedwede Eifersuchtsanwandlung beschwichtigen und das unnötige Entgegenkommen abfedern zu wollen). Die Frage, ob ich die Waschmaschine benutzen darf, pariert er mit vielen ungarischen Sätzen, die klar machen, dass er als Mann von etwaigen Waschvorgängen natürlich nicht die geringste Ahnung habe.

Wie auch immer, ich setze mein Waschvorhaben durch und die Maschine in Gang, im Nebenzimmer dröhnt lautstark ein Fernseher. Ich gehe runter in meine Kammer und durch die blinde zweite Tür - Wunder über Wunder - dröhnt NOCH ein Fernseher. Ich brauche eine Weile um das labyrinthische Potential des gar nicht so großen Hauses mit meiner Hörwahrnehmung abzugleichen, dann plötzlich: NOCH zwei Stimmen. Mit einem Mal sind in dieser dunklen jalousienverbarrikadierten Einfamilienfestung plötzlich vier Menschen drin!

Sie werden bis weit nach Mitternacht ungarische Fernsehshows schauen, einer wird um 6.30 wieder geweckt werden und in der Mikrowelle (!) Kaffee zubereiten. Nachdem er gegangen ist, wird die zweite Frau es ihm gleichtun (bing), bevor sie eine halbe Stunde mit ihrer Freundin telefoniert, übers Wetter redet (Das weiß ich, weil der Tonfall es sagt, mit dem der Gang zum Fenster begleitet wird - Fenster auf, Fenster zu -, durch irgendeinen Druckausgleich geht dabei auch meine Tür auf). Unter Aufbringung aller meiner Willenskräfte absolviere ich meine tägliche Morgenmeditation und flüchte, bevor ich mehr darüber erfahren kann, was die oben grad treiben.


Uff. Es regnet, ich muss mich fast 40km zur nächsten Unterkunft durchschlagen, aber ich atme auf. Das verbirgt sich also hinter all diesen geschlossenen Läden, die ich schon seit Tagen beobachte. In vielen Dörfern sind den ganzen Tag über die Jalousien herunter gelassen. Was für ein Sinnbild für den Horizont dahinter, für dieses Ungarn, dieses Europa.


Und dann treffe ich am Abend auf einen Mann in blauer Strickmütze, mit grauem Bart und warmen freundlichen Augen. Er ist Hafenmeister in Hajóállomás -Schiffsanlegestelle und Unterkunft mit mir als einzigem Gast. Und alles ist bei ihm weit, offen, im Fluss, so wie die Donau vor seinem Fenster. Er ist auch Ungar, stammt aus demselben Landstrich. Auch er spricht kein Englisch oder Deutsch. Trotzdem sprechen wir über allerhand, und am Ende überredet er mich sogar zu Einer Voice-Translator-App.


Man könnte nun sagen, die Menschen am Fluss seien anders als die im Hinterland, aufgeschlossener, verbundener mit der Welt. Aber ich hab auch hinter den Feldern Menschen getroffen, die mit Interesse und Neugier auf jemanden von außen zugehen. Am Regentag sind mehrere Menschen stehengeblieben und haben gefragt, ob sie mich mitnehmen können. Einmal hab ich gar auf mein „I don’t speak Hungarian“ die Antwort gekriegt: „It does not matter“.

Was ich allerdings immerzu feststelle, ist, dass jedes Dorf seine Ausstrahlung hat - man spürt sofort, wie seine Einwohner einem begegnen werden.


Zu guter Letzt lande ich jedenfalls bei einer sammelverrückten Kunst- und Antiquitätenliebhaberin in Dunaföldvár. Sie ist auf sehr liebenswürdige Weise kauzig und macht Zimmer mit Themenschwerpunkt. Ich habe „Sárdy Janos“ bekommen. Eigentlich habe ich ja ein anderes Zimmer gebucht, aber das Leben ist immer klüger als man selber, denke ich mir, und höre mir an, was der gute Mann so singt und gemacht hat.

Das Resultat ist mindestens so erstaunlich wie dieses Ungarn:


Bald werden wir nun in Mohács sein und dahinter ist schon die serbische Vojvodina.

Drei Tage südungarische Donau warten aber noch auf uns!







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